Zwei Narkoseärzte schieben den Patienten nach der Hüftoperation aus dem Operationssaal und rollen das Spitalbett in zwei Anläufen um die Ecke in den Aufwachraum. Während der Patient wieder zu sich kommt, unterbricht die zuständige Anästhesistin mehrmals ihre Arbeit, um seinen Zustand zu kontrollieren. Von der Theke, die leicht versetzt hinter der Ecke steht, fehlt der direkte Sichtkontakt. Dem Patienten ist übel, er muss sich übergeben. Nun wäre die Pflegefachperson froh, sie müsste nicht mit der vollen Schale durch den Gang zum Ausguss laufen.
Das Beispiel illustriert Engstellen, schlechte Übersichtlichkeit und ungünstige Arbeitsabläufe in einem Spital. Exakt solche Schwachpunkte konnten bei der Planung eines Neubaus am Spital Bülach ausgemerzt werden, nachdem das Projekt am SCDH in einem Workshop simuliert worden war.
Realität auf der Simulationsfläche
In Nidau steht dafür eine 560 m2 grosse Extended-Reality-Simulationsfläche in einer 2500 m2 grossen Industriehalle zur Verfügung; es ist die grösste Fläche dieser Art in der Schweiz. Grundrisse können auf den Boden projiziert werden, Wände, Türen und Fenster in passender Grösse aus Karton realisiert und die Räume mit medizinischen Geräten, Patientenliegen und weiterem Mobiliar ausgestattet werden. In diesem realitätsgetreuen Umfeld begegnen sich Spitaldirektoren, Planer sowie die zukünftigen Nutzenden – dieser partizipative Ansatz ist für die Experten des SCDH zentral. Dieses gemeinsame Suchen nach optimalen Lösungen hat auch den Leiter Unternehmensentwicklung des Spitals Bülach, Jens Diele, überzeugt. Er berichtet, dass nach dem SCDH-Workshop zu einem geplanten Neubau die Grundrisse überarbeitet worden seien und die Nutzenden viel besser hinter der Planung stünden.
Sparen dank innovativem Ansatz
Baufehler kosten. Um die monetären Einsparungspotenziale von Simulationen aufzuzeigen, kooperiert das Zentrum nach Auskunft von Stefan Sulzer, Managing Director des SCDH, jedoch mit Expertinnen wie Nora Colman, mitverantwortlich für den simulationsgestützten Bau eines der grössten Kinderspitäler der USA. Sparen lässt sich bei Weitem nicht nur dank dem Vermeiden von Baufehlern, wie Sulzer betont. Im Fokus stehen optimierte Arbeitsprozesse, bessere Kommunikationsabläufe, erhöhte Sicherheit von Patienten und Personal und die Zufriedenheit der Angestellten. «Eine gute Signaletik kann die Prozesse in einem Gesundheitsbau über die Nutzungsdauer von mehreren Jahrzehnten optimieren. Studien zeigen zudem, dass Räume einen weitaus grösseren Effekt auf die Patientensicherheit haben, als dies den meisten Verantwortlichen bewusst ist», so Sulzer.
Bedürfnisse des Pflegepersonals
Lässt sich daraus schliessen, dass an den Bedürfnissen der Nutzenden, namentlich des Pflegepersonals, vorbeigeplant wird? So weit würde Sabine Hahn, Leiterin angewandte Forschung und Entwicklung Pflege an der Berner Fachhochschule sowie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des SCDH, nicht gehen. Pflegende und ihre Ansprüche an eine arbeitsfreundliche Umgebung gingen immer weniger vergessen. Wichtig für das gegenseitige Verständnis sei aber, dass auch mit einer gemeinsamen Sprache gesprochen wird. Planenden von neuen Gebäuden oder Umbauten sei häufig nicht bewusst, dass jede Fachrichtung spezifische Bedürfnisse hat. Oft würden auch die vielen Wegstrecken, die Pflegefachpersonen am Arbeitsplatz zurücklegen, unterschätzt. Eine bessere Anordnung der Räumlichkeiten sowie der Orte, an denen Arbeitsmaterialien aufbewahrt werden, könne sehr entlastend sein.
Viel konkreter als Virtual Reality
Daniel Pauli ist Architekt und Spitalplaner. Er entwickelte einst das Grundrisskonzept für das erste ambulante OP-Zentrum des Spitals Bülach. Pauli sagt, dass es heute «rein theoretisch keine schlecht geplanten Räume und Funktionsbereiche mehr geben sollte»; die Pläne würden von den Nutzenden nach zahlreichen Sitzungen unterschrieben. Dennoch: Pläne entsprächen der Wahrheit nicht immer zu 100 Prozent, und die tatsächliche Dimension von Ausstattungen und Räumen werde zweidimensional schlechter erfasst. Grundsätzlich liessen sich eher grossflächige Bereiche auch mit Virtual Reality überprüfen. Pauli hat am SCDH aber die Erfahrung gemacht, dass erst der Massstab 1 : 1 eine Detailprüfung in Kernbereichen ermöglicht und zum Beispiel eine Liege wirklich geschoben wird und so Gewicht, Lenkfähigkeit und ein Anstossen an Wänden gespürt werden können. Fasziniert hat den Architekten bei seinem Besuch in Nidau vor allem dies: «Bei den Simulationen diskutierten verschiedene Berufsgruppen miteinander und fanden gemeinsam Lösungen.»
Das SCDH kompakt
Das SCDH ist das nationale Technologiekompetenzzentrum für Designforschung im Bereich Gesundheit. Gegründet 2019 als Public-Private Partnership, wird es vom Bund, dem Kanton Bern und Privaten finanziert. Es ist das schweizweit einzige Zentrum für die Erforschung von Designlösungen und Standards, die die Gesundheit fördern. In den drei Tätigkeitsfeldern «Systeme und Prozesse», «Objekte und Umwelt» sowie «Visuelle Kommunikation» bietet es Analyse, Beratung, Simulation und Co-Prototyping an und arbeitet dafür mit Hochschulen, Stiftungen und Wirtschaftspartnern zusammen.
❱ Weitere Informationen: www.scdh.ch